Der überwiegende Teil der sowjetischen Kriegsgefangenen durchlief bei der Rückkehr in die UdSSR einen Prozess der “Filtration”. Dabei standen Gefangene bereits seit dem berüchtigten Stalin-Erlass Nr. 270 vom August 1941 unter dem Generalverdacht der Feigheit und des Verrats.
Ende Dezember 1941 wurden zehn Speziallager des NKWD im europäischen Teil der UdSSR errichtet, in denen eine Spezialüberprüfung von Rückkehrenden erfolgte. Diese Aufgabe wurde seit 1943 von Sondereinheiten des NKWD direkt in den Sammelpunkten und Über- gangslagern durchgeführt. Während jene Rückkehrer, die mit den Deutschen kollaboriert hatten, direkt in eine mehrjährige Verbannung kamen, unterlagen auch andere Gefangene zahlreichen Repressionen und mussten Strafarbeit in entlegenen Gebieten verrichten. Die Untersuchungen der Filtration wurden nach 1945 in den einzelnen Verwaltungsbezirken der Sowjetunion fortgeführt. Erst Mitte der 1950er Jahre wurde offiziell anerkannt, dass es “grobe Verletzungen der Gesetzlichkeit gegenüber ehemaligen Kriegsgefangenen und ihren Familienangehörigen” gegeben habe, allerdings ohne dass damit die gesellschaftlichen Benachteiligungen aufhörten. Viele weitere Jahrzehnte mussten ehemalige Gefangene und ihre Familien noch unter Diskriminierungen und dem steten Druck der Rechtfertigung leiden.
Die Karteikarten für sowjetische Gefangene wurden 1945 der Sowjetunion übergeben. Sie wurden später zu wichtigen Unterlagen im Prozess der Filtration. In allen Gebietsarchiven befinden sich daher bis heute diese deutschen Karteikarten von Rotarmisten, bei denen man - häufig irrtümlich - annahm, dass sie lebend aus deutscher Gefangenschaft zurückgekehrt waren.
Eine genaue Lektüre der Einträge zeichnet vielfach ein ganz anderes Bild. So befindet sich auf zahlreichen Personalkarten, die heute im Staatlichen Archiv in Perm verwahrt werden, der unscheinbare Eintrag aus dem Jahre 1941: “Entlassen nach Sachsenhausen bei Berlin.” Im dortigen Konzentrationslager befand sich eine “Genickschussanlage”, mit der im Herbst 1941 weit über 10.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden.
[...]
Ich befehle:
[...]
Jeden Militärdienstleistenden, unabhängig von seiner Dienststellung, dazu zu verpflichten, von seinem Vorgesetzten, falls sein Truppenteil umzingelt ist, zu verlangen, sich bis zum Letzten zu schlagen, um zu den Seinen vorzustoßen, und falls ein solcher Heerführer oder ein Teil der Rotarmisten es vorzieht, sich in Gefangenschaft zu begeben, an- statt die feindliche Abwehr zu organisieren, - sie mit allen Mitteln, sowohl auf dem Landweg, als auch aus der Luft, zu vernichten. Den Familien der Rotarmisten, die sich freiwillig in Gefangenschaft begeben haben, sind staatliche Unterstützung und Hilfe zu entziehen.
[...]
Der Befehl ist in allen Kompagnien, Schwadronen, Batterien, Jagd- staffeln, Trupps und Stäben zu verlesen.
Hauptquartier des Obersten Kommandostabs der Roten Armee:
Vorsitzender des Staatlichen Verteidigungskomitees J. Stalin
Stellvertretender Vorsitzender des Staatlichen Verteidigungskomitees W.Molotow
Marschall der Sowjetunion S. Budjonnyj
Marschall der Sowjetunion K. Woroschilow
Marschall der Sowjetunion S. Timoschenko
Marschall der Sowjetunion B. Schaposchnikow
Armee-General G. Schukow
Staatliches Komitee der Verteidigung
Anordnung N° GKO-1069, streng geheim
vom 27. Dezember 1941, Moskau, Kreml
Mit dem Ziel der Entlarvung von Vaterlandsverrätern, Spionen und Deserteuren unter den ehemaligen Kriegsdienst Leistenden der Roten Armee, die sich unter Umzingelung des Gegners in Kriegsgefangen- schaft befanden, ordnet das Staatliche Komitee der Verteidigung an:
[...]
3. dass das NKWD der UdSSR zur Inhaftierung der oben genannten Kategorien ehemaliger Kriegsdienst Leistender der Roten Armee und zur Gewährleistung ihrer Filtration Sonderlager organisiert [...].
4. dass das NKWD der UdSSR zur Sicherstellung der Überprüfung der ehemaligen Kriegsdienst Leistenden der Roten Armee und der Enthül- lung in ihren Reihen von Vaterlandsverrätern, Spionen und Deserteuren in jedem der oben genannten Lager Sonderabteilungen einrichtet.
Bildnachweis: Staatliches Archiv Perm